Die tödliche Kluft zwischen Innovation und Produktentwicklung. Brücken bauen statt Canyons durchschreiten.
Von Nikolaus Schmitt
Viele sehen das Hauptproblem bei Innovationen in der Generierung der Ideen, der Entwicklung neuer Technologien und im Erreichen neuer technischer Kenndaten. Diese überaus wichtige Phase genießt meist höchste Aufmerksamkeit, maximale Geldmittel und – zumindest zähneknirschend – auch ein gehöriges Maß an Geduld. Hat man die Innovationsziele erreicht, laufen die Demonstratoren, bewahrheiten sich die Kenndaten, so meint man, eigentlich schon fast am Ziel zu sein. Weit gefehlt – hier liegt vielmehr der eigentliche Anfang! Wer meint, man müsse jetzt nur noch eilig die Innovation in ein Produkt gießen, wird schnell eines Besseren belehrt. Sind die für die Demonstratoren angewandten Technologien überhaupt produkttauglich? Lässt die Innovation sich auch kosteneffizient produzieren und auf den Markt bringen? Haben die Kollegen das notwendige Knowhow, die neuen Technologien handzuhaben? Und meist das Wichtigste: Wer finanziert den Übergang von der Innovation zur Produktentwicklung?
Das Problem des Transfers ist kein Fehler, es ist inhärent
Als Forscher in einem zentralen Forschungsbereich einer großen Firma habe ich an vielen tollen Innovationen mitgearbeitet und oft genug erlebt, dass die besten Innovationen in der Schublade verschwanden oder ein böses Ende nahmen, weil gerade diese Übergangsphase zur Produktentwicklung nicht von Anfang an eingeplant und finanziert war. Während für die innovative Arbeit genug Mittel und Kapazitäten zur Verfügung standen, fühlte sich irgendwie keiner verantwortlich, den Transfer zur Produktentwicklung zu finanzieren. Monatelang, fast jahrelang stritt man sich, wer dies zu bezahlen hat – der Innovationsbereich oder der Produktentwicklungsbereich?
Natürlich waren dies nicht die einzigen Probleme – die anderen waren meist noch schwerer zu fassen: Während sowohl in der Innovationsphase als auch in der Produktentwicklungsphase die Prozesse sehr wohl geregelt sind, steht man oft völlig überrascht und hilflos da, wenn es um die Phase gerade des Überganges zwischen den beiden geht. Wie findet der Technologie-Transfer statt? Durch Dokumentation (die die Innovatoren ungern anfertigen)? Oder gehen Mitarbeiter mit in die Produktentwicklung? Ist ein solcher Schritt für die Mitarbeiter mit einem Standortwechsel verbunden? Zeigt sich erst jetzt, dass bestimmte Technologien gar nicht sinnvoll in ein Produkt umsetzbar sind – vielleicht aus ganz banalen Gründen? Die Erfahrung lehrt, dass bei der Produktentwicklung die Innovation oft nochmals ganz neu erfunden werden muß.
Man soll nicht meinen: Wenn diese Dinge auftreten, hat eine der beiden Seiten ihre Aufgaben nicht richtig gemacht. Das Problem ist inhärent. Wenn das Problem nicht auftritt, sollte man eher skeptisch sein: Ist die Innovation überhaupt so bahnbrechend und neu? Werden neue Technologien verwendet oder hat man einfach nur kleine Verbesserungen durchgeführt? Hat man die Probleme bei der Produktumsetzung vielleicht noch gar nicht erkannt?
Beim Transfer helfen keine festen Prozesse, sondern viele kleine Brücken
Der Erfinder und Innovator ist verliebt in seine Idee, er wendet die bestmöglichen Technologien und Verfahren an, um die höchste Leistungsfähigkeit zu erzielen. Bezöge er gleich völlig abgeklärt alle Randbedingungen mit ein, gäbe es nur inkrementellen Fortschritt, nie wirklich gute und bahnbrechende Innovationen. Der Produktentwickler dagegen kennt die Randbedingungen der Produktentwicklung und ihre Risiken. Und doch ist es gerade der Kampf zwischen den beiden, der zu einem tollen und innovativen Produkt unter realistischen Produktbedingungen und vielleicht auch neuer, aber machbarer Produktionsverfahren führt. Der Finanzverantwortliche der Innovation hat seinen Perimeter, den er führt – ebenso auch der Finanzverantwortliche der Produktentwicklung. Die Interaktion zwischen beiden findet auf unklarem Gebiet statt: Wer ist zuständig? Wer muss die Mittel bereitstellen? Wer das Personal? Wer bestimmt?
In dieser tödlichen Kluft ist schon so manche schöne Innovation abgestürzt. Jahrelange Anstrengungen, große Geldmittel, menschliche Kapazitäten und Fähigkeiten wurden verschwendet worden, weil genau diese Phase nicht richtig und nicht rechtzeitig geplant wurde – und nicht von den richtigen Leuten begleitet, die weder auf der einen noch auf der anderen Seite stehen. Dies ist nicht nur ein spezielles Problem von Großfirmen mit ihren großen Abteilungen: Auch den Mittelstand betrifft es in gleichem Maße – es ist eine Eigenheit des Innovationstransfer selbst, nicht der Größe. Denn überall sind es Menschen, die die Innovation und die Produktentwicklung machen. Und Menschen sind verschieden.
Es gibt keine Standardlösung für das Problem – sonst müssten die Innovationen ja immer ähnlich sein. Der Transfer einer richtigen Innovation in die Produktentwicklung ist immer irgendwo im Niemandsland außerhalb der normalen Organisation, ist immer anders als der vorige und der nächste, erfordert immer eine situative Lösung. Dies kann nicht durch feste Vorgehensweisen aufgefangen werden, man kann es aber auch nicht einfach laufen lassen – er erfordert eine erfahrene, übergreifende situative Planung und Begleitung. Und zwar nicht erst, wenn die Innovation fertig ist, aber auch nicht, wenn sie ganz am Anfang steht. Der Transfer beginnt, wenn die ersten Demonstratoren laufen, er endet, wenn die Produktion läuft. Er erfordert eine Begleitung, die sich mit der Innovation mitbewegt von der funktionalen Demonstration über die Produktentwicklung, in einzelnen Aspekten auch bis in die Produktion. Dieser Transfer erfordert einen Verantwortlichen, der beide Seiten versteht – ohne deren Teil zu sein. Wer eine Brücke baut, muß eben beide Seiten kennen. Dem Brückenbauer müssen dazu aber auch die Mittel und Entscheidungskompetenzen zugestanden haben, dieses Niemandsland zu überbrücken.
Jede Firma muss für sich entscheiden, ob sie den Transferbegleiter, den Brückenbauer, im eigenen Hause hat oder von außen holen will – wichtig ist, daß dieser den Transfer frühzeitig und sorgsam begleitet und die vielen erforderlichen Brücken baut, wenn die tolle Innovation nicht auf der Strecke bleiben soll. Eine erfolgreiche Innovation ist eben mehr als nur die Erfindung, die neue Technologie und der leistungsfähige Demonstrator.
Nikolaus Schmitt auf LinkedIn folgen.