Die Gleichzeitigkeit von Alt und Neu. Die ökologische Transformation erfolgreich gestalten
Von Axel Klopprogge
Die Zeit des Verbrennungsmotors scheint zu Ende zu gehen. Im Raum stehen anspruchsvolle Klimaziele. Die britische Regierung hat beschlossen, ab 2030 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen. Mit Elektromobilität und Digitalisierung wird die Automobilindustrie zur gleichen Zeit mit zwei Entwicklungen konfrontiert, die Technologie, Infrastruktur, Wertschöpfungsanteile und Nutzerverhalten disruptiv verändern. „Weniger Teile, weniger Arbeit, weniger Jobs?“ fragte die FAZ provokant. Die Automobilindustrie und ihre Zulieferer gehören zu den wichtigsten Industriezweigen in Deutschland. Sie liefern auch einen großen Teil des Reichtums, den wir brauchen werden, um den Umbau zu finanzieren.
Zwei Disruptionen zur gleichen Zeit – und außerdem noch Corona
Bisher war der Verbrennungsmotor der technische Kern und der größte Stolz eines Autoherstellers. Elektromotoren, die es auch im bisherigen Auto gab, kaufte man einfach hinzu. Außerdem ist ein Elektromotor einfacher im Aufbau und bietet weniger Chancen, sich zu differenzieren. Die Bearbeitung und Formung von Blechen ist eine weitere Kernkompetenz von Automobilherstellern. Elektrofahrzeuge haben ein Gewichtsproblem und deshalb werden mehr Kunststoffe zum Einsatz kommen. Mit der Digitalisierung kommen vielfältige Steuerungs- und Vernetzungsfunktionen ins Automobil. Bisher hatten die Hersteller ihre Kernkompetenz nicht auf diesen Feldern.
Von den 500 im VDA organisierten Zulieferern sind mindestens 30-40 Prozent von diesem Wandel betroffen. Nicht alles fällt auf den ersten Blick auf: Auch ein Elektrofahrzeug besitzt Fenster und Karosserie, aber werden Scheiben noch aus Glas und Karosserien noch aus Blech sein? Wird es noch Stromverbraucher wie heizbare Sitze oder Klimaanlagen geben? Wenn es mehr Car-Sharing gibt, werden diese Fahrzeuge noch schöne helle Teppiche, Holzfurnier und teure Sound-Anlagen besitzen? Zahnräder fügen dem Klima keinen Schaden zu, aber Elektrofahrzeuge haben ein einfaches Getriebe und deshalb weniger Zahnräder.
Die Umbruchssituation kann den Wettbewerbsdruck erhöhen. Sie ist eine gute Gelegenheit für neue Anbieter, in einen bisher schwer zugänglichen Markt einzutreten. Dies können bisherige Zulieferer in der Elektrotechnik sein. Dies können Unternehmen sein, die in der Digitalisierung zuhause sind und eine starke Marke bilden (Apple, Google). Es können einfach von alten Strukturen unbelastete Unternehmer mit Ideen und Geld sein (Tesla).
Gleichzeitig sind mit ökologischem Umbau und Digitalisierung durchaus neue Chancen für Zulieferer verbunden. Es gibt ein weitverzweigtes Netz von Tankstellen und Werkstätten für Verbrennungsmotoren, aber bisher nur wenig für Elektrofahrzeuge. Als Hersteller von Elektrofahrzeugen muss man sich um solche Fragen kümmern. Kenntnisse in den digitalen Medien sind ein wichtiger Faktor, um mit der neuen Infrastruktur zurechtzukommen. Es gibt Nutzungsmodelle, bei denen das Auto gar nicht mehr dem Nutzer gehört, sondern man mit Hilfe digitaler Medien rausfinden kann, wo in der Nähe ein freies Fahrzeug steht. Durch die Digitalisierung werden im Auto sehr viele Daten über den Fahrer gesammelt – macht man damit etwas und wenn ja, was und wer? Durch die Corona-Krise sind Unternehmen zusätzlich belastet, und Innovationsarbeit ist bei „Social Distancing“ nicht einfacher geworden. Andererseits wird es wohl auch umfangreiche staatliche Förderprogramme für die ökologische Transformation geben.
Den Wandel im Unternehmen bewältigen
Der Wandel ist schwierig – kulturell, kompetenzmäßig und ganz konkret materiell. Es gibt viele ungelöste technische Probleme. Niemand weiß, wie Markt und Wettbewerb sich entwickeln. Vor allem besteht die widersprüchliche Herausforderung darin, mit den traditionellen Produkten noch so lange wie möglich Geld zu verdienen, um den Wandel überhaupt finanzieren zu können. Eine neue unter Beteiligung der Gewerkschaften gegründete Initiative namens „Best Owner Group“ will diesen Übergang von der Investorenseite her abfedern.
Vor allem innerhalb der Organisationen gibt es viele schwierige Fragen. Deutsche Zulieferer sind sehr innovativ – in ihrem angestammten Geschäft. Woher kommen die Impulse, das Knowhow und die neuen Arbeitsweisen, um etwas gänzlich anderes zu entwickeln und auf den Markt zu bringen? Und was soll die Strategie sein? Mit neuen Kompetenzen auf alte Märkte? Oder mit alten Kompetenzen auf neue Märkte?
Manche Unternehmen haben die Notwendigkeit erkannt, rechtzeitig Neugeschäft zu generieren. Sie haben dafür eigene Einheiten gegründet und auch neue Leute an Bord geholt – vielfach aus dem Silicon Valley. Das ist einerseits richtig und notwendig, andererseits kann es leicht passieren, dass diese Speerspitze sich für unfehlbar hält, die inneren Strukturen einer Branche unterschätzt und keine Geduld hat, sich verantwortungsvoll und nachhaltig der Kärrnerarbeit des Wandels zu widmen. Der beschriebene Wandel kann niemals nur das Werk spezieller Organisationseinheiten sein, sondern er betrifft das ganze Unternehmen und alles muss Hand in Hand arbeiten. Die traditionellen Einheiten werden oft negativ charakterisiert (als „Death Valley“ im Gegensatz zum „Silicon Valley“), tatsächlich verdienen sie aber noch das Geld, das die Neuen ausgeben. Kein Wunder, wenn sie misstrauisch beobachten, was die Neuen machen und vielleicht auf jeden Fehler warten.
Wie viele Beschäftigte sind vom Wandel betroffen? Werden sie ihren Arbeitsplatz verlieren oder werden sie etwas anderes machen? Ist die technische Umsetzung schon so klar, dass man wüsste, welche Kompetenzen man braucht? Ist eine Umschulung möglich? Wird es in den Unternehmen Eifersüchteleien geben zwischen „Altgeschäft“ und „Neugeschäft“ oder zwischen „gut“ und „böse“? Auch wenn man sich von alten Technologien verabschiedet, wird man noch Jahrzehnte Top-Leute brauchen, die sich mit diesen Technologien auskennen, sie warten, updaten und schließlich entsorgen können. Wie kann man gute Leute für so etwas gewinnen, wenn man ihnen gleichzeitig sagt, dass sie ein Auslaufmodell sind?
Wenn der Wandel gelingen soll, müssen viele „innenpolitische“ Fragen beantwortet werden – von der Analyse der Kompetenzen über die Gestaltung der Organisation bis hin zu arbeitsrechtlichen Details. Mit der fachlichen und praktischen Erfahrung kann das Kanway Innovation Team besonders kleine und mittlere Unternehmen auf diesem Weg begleiten.
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