Von Mäusen und Elefanten. Selbst handeln statt der Schnelligkeit der anderen zuschauen
Von Axel Klopprogge
Kaum ein Management-Artikel, der nicht die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit und die Unsicherheit der Zukunft beschwört. Entwicklungen, so heißt es, verliefen anders als früher nicht linear, sondern exponentiell und seien obendrein von disruptiven Veränderungen geprägt. Und schließlich erfolge die Ausbreitung von Technologien um ein Vielfaches schneller als früher. Die Zukunft sei nicht mehr so stabil und berechenbar wie früher, sondern insgesamt lebten wir in einer VUKA-Welt, einer Zeit, die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt sei. Man könne nicht mehr strategisch und langfristig handeln, sondern nur noch auf Sicht segeln und müsse sich agil an Veränderungen anpassen.
Schummeleien beim Geschwindigkeitswettbewerb
An diesem Befund der größeren Schnelligkeit kann man zweifeln. Innovationen folgen typischerweise einer S-Kurve: Es gibt eine flach verlaufende Vorbereitungsphase, in der die Basistechnologien entstehen. Diese Phase kann sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte erstrecken. Irgendwann entsteht erstmalig ein funktionsfähiges Produkt, das die Vorstellung erzeugt, wozu es gut sein könnte – das erste gedruckte Buch, das erste Automobil, der erste Computer, die erste Netzwerkverbindung. Dann gibt es einen rasanten Fortschritt: Leistungsdaten wie Geschwindigkeit, Leistung oder Komfort entwickeln sich exponentiell. Dies war beim Flugzeug nicht anders als beim Computerchip. Schließlich flacht diese Kurve ab. Ein Produkt erfüllt seinen Zweck. Auch kleine Fortschritte sind nur noch mit großem Mitteleinsatz möglich und werden von den Nutzern nicht mehr honoriert. Es gibt also durchaus Phasen schnellerer und langsamerer Entwicklung, aber dies hat mit der Reife einer Technologie und nicht mit unterschiedlichen Zeitaltern zu tun.
Häufig werden Mäuse mit Elefanten verglichen, wenn es um die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Innovationen geht. So habe es beim Fernsehen 50 Jahre gebraucht, bis 50 Millionen Zuschauer erreicht wurden, bei WhatsApp aber nur ein Jahr. In Wirklichkeit war das Fernsehen eine grundlegende Innovation, die aus einer Kombination zahlreicher Basistechnologien bestand und riesige Investitionen in die Infrastruktur erforderte. Der Erwerb eines Fernsehers kostete noch Jahrzehnte später mehrere Monatsgehälter. Es gab zunächst keine Inhalte, die den Kauf gerechtfertigt hätten. WhatsApp dagegen war bei der Einführung eine kleine kostenlose Anwendung auf der Basis einer existierenden Basistechnologie. Eine App ist vergleichbar mit einer Fernsehsendung. Auch beim Smartphone dauerte die Entwicklung der Basis-Technologien Jahrzehnte. Und umgekehrt haben beim Fernsehen einzelne Sendungen wie „Wetten, dass..?“ in kürzester Zeit ein Millionenpublikum an sich gezogen.
Vollends absurd wird es, wenn man sich Behauptungen über den vermeintlichen Unter- schied von Geschwindigkeit und Veränderung der letzten beiden Jahrhunderte anschaut: Früher war angeblich alles stabil, linear und berechenbar, während heute alles unsicher und schnell zugeht. Wie bitte? Industrielle Revolution, Stadt-Land-Flucht, politische Umwälzungen, Automobil, Flugzeug, Raumfahrt, Computer, Elektrizität, Telegrafie und drahtlose Kommunikation, Kolonialismus, Chemie, Medizin, Atom, Antibiotika, Kunststoffe, zwei Welt- kriege, Inflation, Kalter Krieg – alles Anzeichen einer schläfrigen Stabilität und Berechenbarkeit, während in der längsten Friedenszeit der Geschichte schon das Update einer Spiele- App als Beweis nie dagewesener VUKA-Bedrohung empfunden wird? Peter Thiel, der gewiss nicht nostalgische Investor aus dem Silicon Valley, hat recht, wenn fordert, das 21. Jahrhundert müsse jetzt aber langsam auch mal etwas zustande bringen.
Schnelligkeit entsteht durch nachhaltiges Handeln
Warum ist es wichtig, sich dies bewusst zu machen? Soll es eine Beruhigungspille sein, damit man weiter ruhig schlafen kann? Im Gegenteil, es geht um Handlungsfähigkeit. Unter Agilität wird fälschlich die Fähigkeit zu möglichst schneller Anpassung verstanden. Eigentlich müsste dieser Ansatz „reagil“ statt agil heißen. Wer sind diese geheimnisvollen Anderen, die für die Veränderungen im Umfeld sorgen? Und warum ist man nicht selbst einer von ihnen, sondern definiert sich stattdessen von vornherein als jemand, der selbst keine gestaltenden Ideen hat, sondern nur willenlos hinterherläuft – dies aber natürlich rasend schnell? Wundert es da, dass die Welt als so unsicher und schnell empfunden wird? Es ist wie beim Autofahren: Dem Mitfahrer auf dem Beifahrersitz wird vor Schnelligkeit schon ganz übel, während der Fahrer am Steuer von ein paar PS mehr träumt. VUKA ist keine Bedrohung, sondern eine gute Nachricht. Wenn die Welt nicht VUKA wäre und es nicht immer gewesen wäre, hätten wir keine Gestaltungsmöglichkeiten – wir wären gar keine Menschen, sondern würden wie Roboter nur ein bei der Erschaffung der Welt festgelegtes Programm vollstrecken. Zwischen Gegenwart und Zukunft liegt nicht die treffsichere Analyse und nicht die schnelle Anpassung, sondern gestalterisches Handeln – hoffentlich das eigene.
Auch wer auf Sicht segelt, muss wissen, wohin er will. Natürlich will niemand unnötig Zeit vertrödeln. Aber die Innovationsgeschichte zeigt, dass sich Schnelligkeit nicht daraus ergibt, dass man einfach etwas schnell macht. Innovationen bestehen oft darin, Ideen zu realisieren, die noch kein Kunde haben will. Darin, etwas möglich zu machen, was bisher als unmöglich gilt. Darin, mit viel Geduld und Hartnäckigkeit die zahlreichen kleinen Schwierigkeiten zu überwinden. Darin, wie Joseph Schumpeter sagte, mit viel Hartnäckigkeit dem Markt seinen Willen aufzuzwingen. Um selbst zu handeln, muss man aber Kenntnisse erwerben, Ideen und eine Strategie haben, Entscheidungen treffen und gegen Widerstände für den Erfolg arbeiten. Diese Arbeit kann durch nichts ersetzt werden. Wenn Veränderung leicht wäre, wäre das Ergebnis auch des eigenen Handelns gleich wieder verschwunden.
Es ist auch in großen Umbrüchen wichtig, selbst handlungsfähig zu bleiben. Deshalb sollte man sich von der fruchtlosen Anbetung der Geschwindigkeit verabschieden. Man sollte besser verstehen, wo genau ein Handlungsbedarf besteht, wo es sich um normalen Wettbewerb und wo um grundsätzliche Systemveränderung handelt. Hierzu hilft zum Beispiel die „Kanway 4X4 Analyse“. Dann kann man die eigenen Ressourcen abschätzen und sich hartnäckig an die Arbeit machen. Dies ist am Ende ohnehin meist das Schnellste.
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